Abzug der "Russen" Ex-Sowjettruppen verlassen Mitteldeutschland

07. Dezember 2020, 12:09 Uhr

Vor 30 Jahren einigen sich die BRD und die UdSSR auf den geordneten Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der neuen Bundesländer. Der Abzug der Sowjetarmee dauert drei Jahre und elf Monate. Eine halbe Million Soldaten und ihre Angehörigen kehren in die Heimat zurück. Fast 40 Jahre waren sie in der DDR stationiert.

"Zwei plus Vier" – so hieß die Konstellation für den Verhandlungsmarathon mit Zielpunkt Deutsche Einheit. Zwei Deutsche Staaten plus vier Siegermächte debattierten und eines der strittigsten Themen war der Abzug der Sowjetarmee.

Neutralität oder NATO?

Die USA und ihre Verbündeten wollten keine neue Sicherheitsarchitektur, sondern ein Deutschland in der NATO. In den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen ging es vor allem darum, die Sowjetunion in diesem Punkt zu überzeugen. Das Riskante der harten Haltung des Westens bestand darin, dass sie den kommunistischen Hardlinern in der Sowjetunion in die Hände spielte. Ohnehin hatte sich die wirtschaftliche Lage der Sowjetunion schon so weit verschlechtert, dass die Gefahr eines Putsches gegen Gorbatschow immer größer wurde. Besonders kritisch war die Lage des Generalsekretärs vor dem 28. Parteitag der tief gespaltenen KPdSU, der vom 02. bis 13. Juli 1990 in Moskau stattfand.

Lothar de Maizière, damals Ministerpräsident der DDR, weiß, wie prekär die Lage war: "Bei einem Treffen im Mai sagte mir Außenminister Schewardnadse, die Sowjetunion würde möglicherweise schon im Juni/Juli zahlungsunfähig werden, das heißt ihren Kapitaldienst bei den Auslandsschulden nicht erfüllen können. Ich habe dann mit dem Kanzler gesprochen. Ein paar Tage später hat die Sowjetunion einen bundesverbürgten Fünf-Milliarden-Kredit gekriegt und auf diese Weise ihre Zahlungsfähigkeit über diesen Parteitag hinweg gerettet. Also der Parteitag war für uns durchaus ein Knackpunkt: Alle Zumutungen mussten wir auf einen Zeitpunkt nach diesem Parteitag verschieben, damit uns dort nicht der vierte Verhandlungspartner von 2+4 wegkippt!"

Helmut Kohl und Boris Jelzin bei der Abschiedsparade der GUS-Armee in Berlin 3 min
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"Das Wunder vom Kaukasus"

Abrüstung, Strategiewechsel, Bereitschaft zur Veränderung - die NATO schuf die Voraussetzung für den Durchbruch bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen. Nach Gesprächen in Moskau und in Archys im Nordkaukasus gaben Helmut Kohl und Michail Gorbatschow am 16. Juli 1990 den gefundenen Kompromiss bekannt: Die Sowjetunion stimmt einer NATO-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands zu. Dafür, bekräftigte Kohl, werde Deutschland auf die Herstellung und den Besitz von ABC-Waffen verzichten. Weiterhin versprach Kohl Hilfeleistungen bei der Rückführung sowjetischer Truppen und stimmte einer Begrenzung der Truppenstärke der Bundeswehr auf 370.000 Mann zu. In der Geschichtsschreibung des Einigungsprozesses ist dieser 16. Juli eingegangen als "Das Wunder vom Kaukasus".

Wenn es denn ein Wunder gegeben hat, dann hatte es sich bereits am 30. Mai 1990 in Washington ereignet. Bereits dort einigten sich George Bush und Michail Gorbatschow darauf, dass das wiedervereinigte Deutschland seine Bündniszugehörigkeit selbst bestimmen könne. Was mit der Bundesrepublik ausgehandelt wurde, war vor allem der Preis für dieses Entgegenkommen.

Milliardengeschäfte am Telefon

Zwei Tage vor der Vertragsunterzeichnung von Zwei-plus-Vier, am 10. September 1990, führten Helmut Kohl und Michail Gorbatschow ein langes Telefonat. Kanzlerberater Horst Teltschik berichtet in seinem Buch "329 Tage", dass es bei diesem Gespräch zentral um die finanziellen Leistungen Deutschlands ging. Kohl habe einen Gesamtbetrag von zwölf Milliarden D-Mark angeboten. Gorbatschow hingegen forderte mit Hinweis auf die schwierige Wirtschaftssituation der UdSSR 15 bis 16 Milliarden D-Mark. Als das Gespräch festzufahren drohte, offerierte Kohl einen zusätzlichen zinslosen Kredit von drei Milliarden D-Mark. Gorbatschow habe dieses Angebot "spürbar erleichtert" aufgenommen. Rechnet man zu den im September 1990 vereinbarten 15 Milliarden noch den bereits im Juli, kurz vor dem Parteitag der KPdSU vereinbarten Fünf-Milliarden-Kredit hinzu, so hat die Zustimmung Moskaus zur deutschen Einheit etwa 20 Milliarden D-Mark gekostet.

Neubausiedlung für ehemalige Soldaten (31.08.2014) 3 min
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Logistik des Menschenmassen-Umzugs

Der Abzug der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) stellte sich als eine logistische Großaufgabe heraus, die insgesamt drei Jahre und elf Monate dauerte. 546.200 Soldaten, Offiziere nebst ihren Angehörigen mussten nach Russland zurückgebracht werden. Hinzu kamen 123.629 schwere Waffen und sonstiges militärisches Gerät – insgesamt eine Last von 2,7 Millionen Tonnen. Die Heimkehr gestaltete sich für viele Soldaten schwierig – sie gingen in ein zerfallendes Reich, das nach dem Scheitern des Sozialismus von großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten gezeichnet war.

Mit einer Feier am 31. August 1994 im Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt ging für die Truppen Moskaus ihre Zeit auf deutschem Boden zu Ende. Mit dem Abzug der letzten Brigade einen Tag später erhielten deutsche Behörden 3.000 Kasernen und Grundstücke zurück – nebst den Hinterlassenschaften und geschätzten 25 Milliarden Mark Sanierungskosten.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Sowjetarmee geheim | 02. August 2020 | 22:45 Uhr