MDRfragt - Das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland | DNA des Ostens Nachwendegeneration sieht negative Auswirkungen durch Ost-Herkunft

01. Oktober 2021, 05:00 Uhr

Auch 31 Jahre nach der Deutschen Einheit spielt es noch eine Rolle, ob man aus Ost- oder Westdeutschland stammt. Das finden gut drei Viertel der Beteiligten der aktuellen MDRfragt-Befragung - und in besonderem Maße diejenigen, die selbst erst nach der Wende geboren wurden. Auf einige Bereiche hat ihre Ost-Herkunft besonders starke negative Auswirkungen, so die Nachwendegeneration.

Karrierechancen, Verdienstmöglichkeiten, Vermögen und Eigentum: Wer aus dem Osten kommt, hat es in diesen Punkten schwerer - selbst die Nachwendegenerationen. Davon ist die Mehrheit der rund 25.000 MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung zum Tag der Deutschen Einheit beteiligt haben, überzeugt. So sehen 60 Prozent negative Auswirkungen auf Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen durch die Ost-Herkunft. Fast ebenso viele (57 %) sehen zudem Nachteile auf Vermögen und Eigentum. Beim Thema Bildung glaubt dagegen die Mehrheit (54 %), dass die Ost-Herkunft keine Rolle mehr spielt.

Die MDRfragt-Mitglieder, die nach der Wende geboren wurden, haben einen etwas differenzierteren Blick auf dieses Thema:

  • Einerseits schätzen sie die Auswirkungen der Ost-Herkunft auf ihre Generation bei der Bildung positiver ein: So glauben in dieser Altersgruppe mit 25 Prozent so viele wie in keiner anderen Altersgruppe, dass die ostdeutsche Herkunft positive Auswirkungen auf den Bildungsweg hat.

Als Jahrgang 2002 habe ich persönlich (noch) nicht das Gefühl benachteiligt zu sein, da ich im Juli mein Abitur bekommen habe und jetzt in Dresden studieren werde.

19-jähriger Teilnehmer aus dem Kreis Anhalt-Bitterfeld

  • Andererseits sind sie pessimistischer bei Karrierechancen und Verdienstmöglichkeiten sowie bei Eigentum und Vermögen: Hier bewerten die Jüngeren die Auswirkungen der Ost-Herkunft auf ihre Generation negativer als die anderen Altersgruppen (79 bzw. 72%). Mit dem Alter nimmt die negative Einschätzung diesbezüglich deutlich ab.

Wenn Menschen aus den neuen Bundesländern nicht bereit sind umzuziehen, werden sie auch weiterhin nicht die gleichen Gehälter wie westdeutsche Familien erwarten können.

29-jähriger Teilnehmer aus Leipzig

Die Nachkommen der Westdeutschen dürften mehr erben als diejenigen der Ostdeutschen. Im Westen wurde mehr Vermögen erwirtschaftet als im Osten, besonders in Form von Immobilien. Die Vermögensunterschiede werden also in den kommenden Generationen bleiben.

30-jährige Teilnehmerin aus Dresden

Drei Viertel finden: Ost- oder Westdeutscher zu sein spielt heute noch eine Rolle

Alles in allem sind rund drei Viertel (76 %) der Ansicht, dass es heute noch eine Rolle spielt, ob man Ost- oder Westdeutscher ist. Für ein knappes Viertel (23 %) spielt das dagegen keine Rolle mehr.

Bei den Menschen, die erst nach der Wende geboren wurden, sind es sogar 82 Prozent, die finden, dass die Herkunft noch einen Einfluss hat. Auch dazu haben uns viele Kommentare aus dieser Generation erreicht:

In meinem Umfeld gab es durchweg negative Reaktionen, als ich mich entschied, zum Studieren nach Erfurt zu gehen. "Was willst du denn im Osten?"

22-jährige Teilnehmerin aus Erfurt

Meiner Erfahrung nach haben Ostdeutsche eine andere Mentalität, so dass ich mich schneller mit ihnen anfreunden kann. Viele Unterschiede sind schwer zu erklären, aber auch im direkten Umgang mit anderen bemerkbar.

21-jährige Teilnehmerin aus Jena

In unserer Generation (Ende der 90er geboren) spielt das Thema Ost, West fast gar keine Rolle mehr. Da wird eher mal im Spaß gesagt „du Ossi“ oder „du Wessi“. Aber gerade im Gespräch mit älteren Menschen merkt man immer wieder, dass dort weiterhin Unsicherheit und Unwissenheit herrschen, was Geschichte aber auch Gegenwart der neuen Bundesländer betrifft.

23-jähriger Teilnehmer aus Dessau-Roßlau

9 von 10 finden, dass es heute noch Vorurteile gegenüber Ostdeutschen gibt

Die Unterschiede spiegeln sich nach Meinung der deutlichen Mehrheit in Vorurteilen gegenüber den Ostdeutschen und Ostdeutschland wider. 89 Prozent finden, auch 31 Jahre nach der Einheit gibt es noch Vorurteile:

Hier einige Vorurteile, die unseren MDRfragt-Mitgliedern begegnet sind:

Die Ostdeutschen haben den Westen erkundet und vieles versucht zu verstehen. Prozentual dazu sind es zu wenige Westdeutsche, die sich für den Osten interessieren und an alten Klischees festhalten. Ostdeutsche wären alle Sachsen, dumm und zu faul zum arbeiten. Keiner weiß, woher dieser Unsinn stammt. Aber es ist verletzend.

69-jährige Teilnehmerin aus Gera

Das klassische Vorurteil sind die Jammerossis. Von denen gibts wesentlich weniger, als mancher im Westen glaubt.

65-jähriger Teilnehmer aus Dresden

Ostdeutsche werden pauschal oft in die rechte Ecke gestellt und als weniger qualifiziert angesehen.

58-jährige Teilnehmerin aus Mittelsachsen

Knapp drei Viertel sehen heute noch besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl unter Ostdeutschen

Dass es gewisse Besonderheiten unter den Ostdeutschen gibt, die sie eint, sieht die Mehrheit so. So gibt es nach Meinung von rund drei Vierteln (74 %) der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer gibt es bis heute ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Ostdeutschen, sowohl unter den in der DDR oder später im Ostdeutschland der Nachwendezeit Geborenen. Rund ein Viertel (24 %) empfindet dies jedoch nicht so.

Allerdings hat sich dieses Zusammengehörigkeitsgefühlt nach 1990 nach Ansicht der meisten verändert. So etwas weniger als zwei Drittel (62 %) der Ansicht, es ist schwächer geworden. Stärker empfinden es heute nur neun Prozent. 17 Prozent sind dagegen der Ansicht, es ist gleichgeblieben.

Leben im Ostdeutschland der Wendezeit prägte bei überwiegender Mehrheit den Blick auf die Welt

Wir haben diejenigen Befragten, die um die Wendezeit in der DDR gelebt haben bzw. im Ostdeutschland der Nachwendezeit aufgewachsen sind gefragt, ob ihre ostdeutsche Herkunft ihren Blick auf die Welt geprägt hat. Die überwiegende Mehrheit empfindet definitiv eine Prägung durch ihre ostdeutsche Geschichte: Für etwas mehr als die Hälfte (58 %) ist diese Prägung sogar stark. Für rund ein Drittel (32 %) hat die ostdeutsche Herkunft den Blick auf die Welt zumindest etwas geprägt. Lediglich sieben Prozent verneinen diesen Zusammenhang.

Einige MDRfragt-Mitglieder haben uns geschrieben, wie sie ihre Prägung durch das Leben in Ostdeutschland empfinden:

Meine Sicht auf die Welt und meine Werte wurden durch mein Leben in der DDR geprägt.

67-jährige Teilnehmerin aus Dresden

Man hat ja als Kind alles das „gelernt“ was einem die Eltern etc. beibrachten. Also auch bestimmte Lebensweisen. Das haben die Leute ja nicht von Heute auf Morgen vergessen.

31-jähriger Teilnehmer aus Weimar

Nur wer die Knute der Unfreiheit gekostet hat, kennt ihren Geschmack und begreift, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.

46-jähriger Teilnehmer aus Dessau-Roßlau

Über diese Befragung Die Befragung vom 17.-24.09.2021 stand unter der Überschrift:

31 Jahre nach der Wende: geeintes Deutschland oder deutliche Unterschiede?

Insgesamt sind bei MDRfragt 47.505 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 24.09.2021, 13 Uhr).

24.857 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Bezug zu Ostdeutschland:
Selbst zur Wende / in den 90ern überwiegend in Ostdeutschland gelebt: 94 Prozent
Familie zur Wende / in den 90ern überwiegend in Ostdeutschland gelebt: 94 Prozent
Zur Wende noch nicht geboren: 1 Prozent
Davon nach der Wendezeit in Ostdeutschland aufgewachsen: 92 Prozent

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 353 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.826 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 10.536 Teilnehmende
65+: 10.142 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 12.689 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 6.200 (25 Prozent)
Thüringen: 5.968 (24 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Männlich: 55 Prozent
Weiblich: 45 Prozent
Divers: 0,2 Prozent

Die Befragungen sind nicht repräsentativ, aber sie werden nach statistischen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Alter gewichtet. Die Gewichtung ist eine Methode aus der Wissenschaft bei der es darum geht, die Befragungsergebnisse an die real existierenden Bedingungen anzupassen. Konkret heißt das, dass wir die Daten der Befragungsteilnehmer mit den statistischen Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgleichen.

Wenn also beispielsweise mehr Männer als Frauen abstimmen, werden die Antworten der Männer weniger stark, die Antworten der Frauen stärker gewichtet. Die Antworten verteilen sich dann am Ende so, wie es der tatsächlichen Verteilung von Männern und Frauen in der Bevölkerung Mitteldeutschlands entspricht.

Dabei unterstützt ein wissenschaftlicher Beirat das Team von "MDRfragt". Mit dem MDR Meinungsbarometer soll ein möglichst breites Stimmungsbild der Menschen in Mitteldeutschland eingefangen werden – mit möglichst vielen Teilnehmenden.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Wer wir sind - Die DNA des Ostens | 01. Oktober 2021 | 20:15 Uhr