Eine Schülerin sitzt vor einem Stapel Büchern und hat trotzig die Kapuze ihres Pullovers über den Kopf gezogen. In Nordrhein-Westfalen haben 2022 deutlich mehr Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen.
Schule vorbei, aber kein Zeugnis in der Tasche? Das betrifft in Mitteldeuschland mehrere Tausend Schüler jedes Jahr. In Sachsen-Anhalt ist die Schulabgangsquote ohne Hauptschulabschluss besonders hoch. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | David Inderlied

Mitteldeutschland Tausende beenden Schule ohne Abschluss

28. März 2024, 05:00 Uhr

Mehr als jeder zehnte Schüler verlässt in Sachsen-Anhalt die Schule ohne Hauptschulabschluss. In Thüringen und Sachsen sieht es nicht wesentlich besser aus. Bildungsforscher sagen, jeder Abgänger ohne Schulabschluss ist einer zuviel - gerade in Zeiten des Lehrlingsmangels und Fachkräftebedarfs. MDR DATA hat sich die Zahlen für Mitteldeutschland genauer angesehen.

Im Abschlussjahrgang 2022 sind in Sachsen-Anhalt 11,8 Prozent der Schüler und Schülerinnen ohne anerkannten Schulabschluss geblieben. Das ist mehr als jeder zehnte Schüler in dem Bundesland und der schlechteste Wert in Deutschland insgesamt. In Thüringen lag die Quote bei 9,5 Prozent, in Sachsen bei 8,1 Prozent. Damit landen die beiden Freistaaten auf den Rängen vier bzw. sechs und liegen ebenfalls deutlich über dem Bundesdurchschnitt (6,8 Prozent). Die Zahlen basieren auf Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Landesämter.

Erhebliche Unterschiede in Mitteldeutschland

Zwischen den Landkreisen und Großstädten in den mitteldeutschen Ländern zeigen sich deutliche Unterschiede: In Sachsen-Anhalt war im Kreis Stendal 15,2 Prozent die Quote am höchsten, im Nachbarlandkreis Börde lag sie bei 8 Prozent.

Im Saale-Holzland-Kreis in Thüringen zeigte die Statistik eine Schulabgänger-Abgangsquote von 4,8 Prozent. Dagegen wies der Kreis Nordhausen mit 14 Prozent fast drei Mal so viele Schülerinnen und Schüler auf, die ohne Hauptschulabschluss die Schulen verließen.

Ein großes Gefälle zeigt sich auch in Sachsen: Während im Landkreis Meißen 6,6 Prozent der Schulabgänger keinen Hauptschulabschluss erlangten, waren es in Chemnitz mehr als doppelt so viele (14 Prozent).

Förderschüler verzerren statistisches Bild

Beim Thema Schulabgangsquoten hat der Bildungsforscher Klaus Klemm bereits mehrfach auf einen Punkt hingewiesen: "Bundesweit kommt die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die keinen Schulabschluss haben, aus Förderschulen." An Förderschulen für geistige und Lernbehinderungen sind keine anerkannten Abschlüsse möglich, dennoch sind die Jugendlichen, die diese Schulen ganz regulär verlassen, Teil der Statistik.

Und: Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gibt es besonders viele Förderschüler. Manche Städte und Landkreise haben auch deshalb hohe Quoten, weil viele Förderschüler dorthin in größere Schule pendeln.

Jungs besonders häufig ohne Schulabschluss

Als besonders gefährdete Gruppen gelten Jungen, Heranwachsende mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Förderschüler. Die meisten Abgänger ohne Schulabschluss sind Jungen. Der Anteil von Mädchen ohne Hauptschulabschluss lag zuletzt bei 38 Prozent, hatte eine Bertelsmann-Studie ergeben.

Jeder junge Mensch ohne Schulabschluss ist einer zu viel.

Prof. Klaus Klemm Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher

Bildungsforscher Klemm sagt zu den Abgangsquoten: "Jeder junge Mensch ohne Schulabschluss ist einer zu viel. Die Gesellschaft kann es sich angesichts des wachsenden Fachkräftemangels nicht leisten, diese Personen durchs Raster fallen zu lassen." Junge Menschen ohne Schulabschuss hätten geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz und ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Menschen ohne Schulabschluss sind fast sechs Mal so häufig arbeitslos wie jene mit Berufsausbildung.

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Wer keinen Schulabschluss hat, findet schlechter eine Lehrstelle, später schwieriger Arbeit oder wird als Ungelernter zuerst gekündigt, wenn Entlassungen anstehen. Das zeigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. (Symbolfoto) Bildrechte: picture alliance / Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa | Sebastian Kahnert

Düsterer Blick auf Nach-Corona-Jahre

Bildungsforscher Klemm ist für die nächste Zukunft wenig optimistisch. Er geht davon aus, dass sich die Corona-Jahre mit Schulschließungen und Unterrichtsausfällen nachhaltig negativ auf die Schulabbrecherzahlen auswirken werden.

Die Grafik zeigt, wie sich die Quoten in Mitteldeutschland und im bundesweiten Durchschnitt entwickelt haben. Auffällig ist der Anstieg der Kurven ab 2020, dem ersten Coronajahr. Nur in Sachsen (gelbe Linie) sanken die Zahlen 2022 leicht.

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