Russlands Präsident Wladimir Putin hält eine Ansprache, in der er eine militärische Sonderoperation im Donbass ankündigt. 2022
Russlands Präsident Wladimir Putin hält eine Ansprache, in der er eine militärische Sonderoperation im Donbass ankündigt. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

Der Redakteur | 28.02.2024 Wie sehen Thüringer Radiohörer den Ukraine-Krieg?

28. Februar 2024, 21:23 Uhr

Emmanuel Macron hat etwas Unsagbares gesagt. Westliche Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen? Also ein direkter Konflikt mit Russland – einer Atommacht? Das löst Ängste aus und stößt auf Widerspruch. Selten gab es auf ein Radio-Thema bei MDR THÜRINGEN so viel Resonanz.

Thomas Becker
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Die Vorwürfe wiegen schwer, neben Macron kommen in den Wortmeldungen der Hörer von MDR THÜRINGEN auch Anton Hofreiter, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter nicht gut weg, die als "Kriegstreiber" immer mehr Waffenlieferungen fordern.

Man habe nichts gelernt aus der Geschichte. Die Rüstungsindustrie sei der größte Gewinner des Krieges und außerdem die NATO und der Westen an allem schuld, weil sie Putin erst in die Situation gebracht hätten. Man solle sich endlich an einen Tisch setzen und verhandeln.

Schwierig, sagt Prof. Christoph Garstka vom Institut für russische Kultur Ruhr-Uni Bochum. Er und seine Kollegen tun sich täglich russisches Fernsehen an und analysieren die Aussagen. Sein erster Hinweis: Die echten Kriegstreiber findet man dort.

Man sollte wirklich einmal einen Tag russisches Fernsehen in Deutschland abspielen, um festzustellen, was Kriegstreiberei ist.

Prof. Christoph Garstka, Institut für russische Kultur Ruhr-Uni Bochum
Russland, Kreml und abgesperrter Roter Platz in Moskau während des Wagner-Aufstands 2023 31 min
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Beispiel: Wladimir Solowjow, Moderator der einflussreichsten russischen Talkshow. Er bezeichnete Macron nach dessen Äußerung, Bodentruppen nicht ausschließen zu wollen, als "nazistisches Schwein, das sich aussuchen soll, welche französische Stadt als erstes bombardiert werden soll."

Dieses Verbale spüren die Ukrainer übrigens körperlich. Und vieles ist nicht neu. Die Geschichten von systematischer Vergewaltigung als Waffe gegen die Zivilbevölkerung beispielsweise, die müssten die Ostdeutschen eigentlich noch kennen, wenn sie ihren Großmüttern damals zugehört haben. Wenn sie denn darüber reden wollten.

Das Problem in Deutschland war die fehlende Aufarbeitung, im Osten sowieso, aber auch im Westen. Dort hat es so etwas auch gegeben.

Die Ukrainerinnen erleben nun das Gleiche, erzählt Krista-Marija Läbe vom ukrainischen Verein "Vitsche" und spricht von systematischem Völkermord durch die russischen Angreifer. Dazu zählen gezielte Festnahmen von Menschen, die in der Ukraine in Verantwortung waren, Folter inklusive.

Sie legt auch großen Wert darauf, dass die Ukrainer nicht nur ihre Heimat zurückhaben wollen, sondern vor allem die Menschen, die verschleppt wurden. Besonders die Kinder, die man nach Russland gebracht hat, um sie dort zu Russen umzuerziehen. Ein Ziel: Sie sollen gegen die Ukraine kämpfen, neben den Ex-Knackis und jungen Männern aus entlegenen russischen Regionen.

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Krista-Marija Läbe ist Sprecherin der ukrainischen Organisation "Vitsche". Im Interview spricht sie über den Krieg gegen Ukraine.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 28.02.2024 16:40Uhr 20:05 min

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/audio-ukraine-krista-marija-laebe-vitsche-100.html

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Aus dem Umfeld der medialen Kriegsbefürworter oder Kremlpolitiker keine Söhne in den Krieg geschickt, sagt Prof. Garstka. Auch nicht aus dem  Mittelstand in Moskau oder Sankt Petersburg, der Putin trägt. Das würde für Unfrieden sorgen. Der Krieg ist weit genug weg.

Warum redet ihr immer über uns statt mit uns?

Die meisten Ukrainer sind in ihrer Heimat, viele von ihnen sind Flüchtlinge im eigenen Land, einige leben unter anderen in Deutschland und nehmen die Diskussion auch wahr, die bei uns geführt wird.

Krista-Marija Läbe ist die Sprecherin der Organisation "Vitsche", gegründet von jungen Ukrainern in Deutschland kurz vor Beginn des Krieges. Sie hat eine ukrainische Mutter und einen deutschen Vater und sie und ihre Eltern leben seit 20 Jahren in Deutschland. Ihre ukrainischen Verwandten haben allerdings den Krieg zu Hause.

Trotzdem kann sie die Ängste der Menschen in Deutschland verstehen, die mit Blick auf den Schwur von Buchenwald oder andere persönliche Bezüge sagen: Nie wieder Krieg und die deshalb Waffenlieferungen ablehnen. Aber ihr Land muss sich mit irgendwas verteidigen können.

Allerdings kann sie den weit verbreiteten Meinungen nicht folgen, dass es die Russen in der Ostukraine nicht leicht hatten, was für Putin ja ein Argument war, einzugreifen. Das sei völlig an den Haaren herbeigezogen, es war zum Beispiel eher die ukrainische Sprache, die unterdrückt wurde. Das erzählen nicht nur die Menschen, die in dem Verein versammelt sind, aus der Gegend stammen und deren Muttersprache russisch ist.

Keiner hat sich je bedroht gefühlt wegen der russischen Sprache, es wurde lange Zeit eher die ukrainische Sprache benachteiligt."

Krista-Marija Läbe, Sprecherin der Organisation „Vitsche“

Kleines Indiz: Wir schreiben "Kiew" quasi russisch, was die deutsche Regierung auf Bitten der Ukrainer ändern möchte. Das russische Vorgehen zugunsten von "Unterdrückten" bestätigt auch Prof. Garstka.

Das Prinzip, erst Unfrieden zu stiften und unterdrückte Russen befreien, erleben wir aktuell auch in Transnistrien, so der Osteuropa-Experte. Das Gebiet gehört eigentlich zur Republik Moldau, die Hilferufe der Separatisten werden wohl als nächstes erhört.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht aus. Dazu haben uns viele Hörermeinungen erreicht.

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Ist Putin Schuld am Krieg oder doch die NATO?

Russische Truppen sind in einen souveränen Staat einmarschiert, einst anerkannt auch von Russland. Heißt: Die Gewalt geht von Russland aus, sagt Prof. Garstka.

Er wirft der NATO und dem Westen allerdings Blauäugigkeit vor. Es war naiv, nach dem Zerfall der Sowjetunion zu glauben, dass sich (ein demokratisches) Russland schon damit arrangieren wird, wenn sich die eine oder andere Ex-Sowjetrepublik in Richtung Westen orientiert. Die mahnenden Stimmen wurden überhört. Da hätte man einiges besser machen können.

Gleichwohl habe es das an Bodenschätzen reiche Russland versäumt, den baltischen und anderen Staaten ein Angebot zu machen. Das Baltikum galt als Aushängeschild der Sowjetunion. Es hätte in der EU auch niemanden gestört, sagt Garstka, wenn sich dort eine Gemeinschaft gebildet hätte.   

Warum hat es Russland 30 Jahre nicht geschafft, den Völkern ein Angebot zu machen, dass die sagen: Da können wir wählen, ob wir in die EU gehen oder uns Russland anschließen?

Prof. Christoph Garstka, Institut für russische Kultur Ruhr-Uni Bochum

Wie kann man den Krieg beenden?

Vorbild könnte der Afghanistankrieg sein, der 1989 endete, sagt Prof. Garstka. Die ruhmreiche Sowjetarmee war damals kläglich gescheitert, was die Amerikaner und die NATO – trotz guter Absichten angesichts einer geknechteten Bevölkerung – nicht davon abhielt, quasi die gleichen Fehler noch einmal selbst auszuprobieren.

Für die Sowjetunion waren Aufwand, Verluste und zu erwartender Ertrag irgendwann zu viel. Niemand hatte etwa Moskau angegriffen oder gar besiegt, so Christoph Garstka. Es war eher die Einsicht in die Tatsache, nicht weiterzukommen. Zu dieser Einsicht muss Russland auch in der Ukraine kommen.

Ein Weg kann auch die internationale Isolation sein, die auf dem G20-Gipfel schon sichtbar wurde. Länder wie Indien oder Brasilien hätten gern ihre Probleme gelöst, statt nur über den russischen Krieg gegen die Ukraine zu sprechen. Hinzu kommt: Nur eine starke Ukraine, die sich verteidigen kann, hat überhaupt eine Verhandlungsposition. Aktuell gibt es die nicht.

Und wer glaubt, man müsse Putin nur die Hand reichen oder irgendwo einen Verhandlungstisch hinstellen, der muss nur russisches Fernsehen schauen. Kremlkritische Oppositionspolitiker sitzen in Russland übrigens nicht in Talkshows, sondern im Straflager, wenn sie Glück haben. Bei Olga Skabeeva in der Talkshow "60 Minuten" wurde dann klar gemacht, was die Voraussetzung ist für Verhandlungen.

Ich zitiere wortwörtlich aus dieser Sendung: Wir werden Friedensgespräche aufnehmen, aber erst dann, wenn unsere Russen vor Lwiw (Lemberg) stehen.

Prof. Christoph Garstka, Institut für russische Kultur Ruhr-Uni Bochum

Und das liegt 70 km vor polnischen Grenze. Dann hätte die Ukraine allerdings nichts mehr, über das sie noch verhandeln könnte. Deshalb braucht sie Waffen, so Garstka. Was sie nicht braucht, ist eine zerstrittene EU und ein Amerika, das noch nicht so genau weiß, was es nach der Präsidentschaftswahl vorhat.

Was tun, Herr General? - Der Podcast zum Ukraine-Krieg

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler
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Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler
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MDR (thk)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 28. Februar 2024 | 16:40 Uhr

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